Der Hettinger Markus Müller hat auf einer Satellitenaufnahme womöglich
eine interessante archäologische Entdeckung gemacht
Von Rüdiger Busch
*Hettingen.* Sorgt die Entdeckung eines Neubürgers, der erst vor einem
Jahr der Liebe wegen zugezogen ist, dafür, dass die Geschichte
Hettingens neu geschrieben werden muss, dass aus dem Maurerdorf
möglicherweise das Römerdorf Hettingen wird? Ein Satellitenbild und eine
Reihe weiterer von Markus Müller zusammengetragener Indizien legen
zumindest die Vermutung nahe, dass in Hettingen – neben dem bekannten
Kleinkastell „Hönehaus“ – ein zweites, größeres Römerkastell stand.
Falls im Hettinger Untergrund tatsächlich die Überreste eines so großen
Bauwerks versteckt sind, wäre dies eine archäologische Sensation. Die
extreme Dürre des vergangenen Sommers und der glückliche Umstand, dass
das betreffende landwirtschaftliche Grundstück zum Zeitpunkt der
Luftaufnahme nicht bewirtschaftet wurde, seien, so Müller, dafür
verantwortlich, dass die Spuren des Bauwerks nun von oben gut zu
erkennen seien – nachdem sie mehr als 1700 Jahre verborgen waren.
Der aus Lippstadt stammende Markus Müller interessiert sich schon seit
Kindheitstagen für Geschichte und Archäologie und speziell für die
Römer. Dieses Interesse hat der 47-Jährige auch nach seinem Umzug nach
Hettingen beibehalten. So wurde er gleich Mitglied des örtlichen
Heimatvereins, und er begann damit, die Region mithilfe von
Satellitenbildern nach möglichen archäologischen Funden zu untersuchen.
Gut vier Wochen ist es her, dass Müller beim Studieren einer
Satellitenaufnahme eine Entdeckung machte, die ihn seither nicht mehr
loslässt: Auf einem Feld am Ortsrand, in unmittelbarer Nähe der
Amorbacher Straße, sah er gerade Linien im Boden, die wohl von
Menschenhand geschaffen sein müssen. „Ich konnte anfangs nicht mehr
schlafen, so stark hat mich dieser Fund und die Frage, was
dahinterstecken könnte, beschäftigt“, berichtet Müller.
Dass diese Konturen im Untergrund sich nun so gut abzeichnen, liegt an
der starken Dürre des vergangenen Sommers, ist sich Müller sicher (die
Satellitenaufnahme stammt vom Juli 2018). Ein Artikel der Süddeutschen
Zeitung stützt diese These, denn durch die Trockenheit würden sich
Kontraste am Boden verstärken, wodurch sich Überreste von Bauten
deutlicher abzeichnen würden. Im Artikel der „Süddeutschen“ wird der
Archäologe Baoquan Song von der Ruhr-Universität Bochum zitiert, der
neue Areale im bekannten Römerlager Vetera castra I bei Xanten und neue
Überreste in einem Römerlager-Komplex bei Bedburg-Hau aufspürte.
Liegt auch im Hettinger Boden ein archäologisch bedeutender Fund
begraben? Markus Müller, der als Vertriebsdirektor eines großen
Unternehmens arbeitet, glaubt fest daran, und er hat auch eine Theorie,
was hinter seiner Entdeckung stecken könnte.
„Zuerst dachte ich an einen römischen Bauernhof, an eine Villa rustica“,
erzählt Müller. Die sich abzeichnende Struktur der Gebäude habe dazu
aber nicht gepasst. Also legte er zum Vergleich die Skizze eines
Kohortenkastells neben die Luftaufnahme – und sie passte. Der 47-Jährige
will auf dem Satellitenbild zwei Hauptgebäude, ein Nebengebäude und
sogar einen Brunnen ausgemacht haben. Seine Vermutung: Hettingen
beherbergte einst ein 480 Mann starkes Kohortenkastell.
„Mir ist aber natürlich klar, dass dies höchstens Indizien sind und noch
lang kein Beweis“, betont Müller, dem – bei aller Leidenschaft für
Geschichte und Archäologie – die Fakten wichtiger sind als Gefühle. Und
so begann er, die vorhandenen Quellen zu studieren und zu überprüfen, ob
sich ein weiteres Kastell in der Region überhaupt mit dem aktuellen
Stand der Wissenschaft vertragen würde. Und siehe da: Müller machte die
zweite überraschende Entdeckung. Er stieß auf einen wissenschaftlichen
Text über das Kastell Alteburg Walldürn, in dem von einem möglichen
zweiten, noch nicht gefundenen Kastell bei Walldürn die Rede ist. Lag es
einst gar nicht bei Walldürn, sondern bei Hettingen?
„Das wäre natürlich sensationell“, sagt Gundolf Scheuermann, der
Vorsitzende des Hettinger Heimatvereins. Als „beeindruckend“ bezeichnet
sein Stellvertreter Marco Hartmann die Entdeckung Müllers und die
nachfolgenden Recherchen. Für seine Theorie sprächen, so Müller, noch
weitere Indizien: An der Limeslinie betrug der übliche Abstand zwischen
zwei Kohortenkastellen 14 Kilometer. Aber: An der fast 30 Kilometer
langen Strecke zwischen Osterburken und Miltenberg gibt es kein großes
Kastell einer regulären Einheit – zumindest kein bekanntes. Bekanntlich
wurde der Limes streckenweise so gerade errichtet, als wäre der Verlauf
mit dem Lineal gezeichnet worden. Nimmt man nun ein solches Lineal und
verbindet die Kastelle Osterburken und Miltenberg, dann liegt Hettingen
direkt an der Linie.
Weshalb lag dieses Kohortenkastell nicht direkt am Limes, sondern einige
Kilometer zurückversetzt? Welche Einheit soll dort stationiert gewesen
sein? Auf diese und weitere Fragen, hat Markus Müller mögliche
Antworten. Doch er möchte nicht spekulieren, sondern er erhofft sich
klärende Aussagen vonseiten der Behörden, denen er seine Entdeckung
sofort gemeldet hat. Wie das Landratsamt auf Anfrage der RNZ mitteilte,
bedürfe der Fund „einer eingehenden, denkmalfachlichen Prüfung. Deshalb
wurden die Unterlagen an das Landesamt für Denkmalpflege weitergeleitet.
Eine Stellungnahme liegt noch nicht vor. Bisher ist an der benannten
Stelle kein archäologisches Denkmal kartiert.“
Das Interesse der Experten hat der Hobbyforscher auf jeden Fall geweckt:
„Es sind Anhaltspunkte da, dass dort archäologische Spuren im Boden
sind“, sagt Dr. Klaus Kortüm vom Landesamt. Allerdings könnten Spuren in
Luftbildern durch viele Faktoren beeinflusst werden, schränkt er ein.
Der sehr trockene Sommer 2018 habe aber „archäologische Spuren zutage
gebracht, die vorher nicht da waren“, weiß Kortüm. Auch in Hettingen?
Das werden die Fachleute klären müssen.
Info: *Den Link zur Satellitenaufnahme finden Sie auf www.rnz.de
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